Steht man vor der Frage nach der idealen digitalen Strategie, hört man in letzter Zeit immer wieder den Begriff „Mobile First“. So geht es auch unserem UX-Berater Martin Schröter, der hier seine Erfahrungen und vor allem seine Meinung zu diesem Vorgehen mit Ihnen teilen möchte. Wann ist „Mobile First“ der richtige Ansatz und wann sollte man seine Verwendung noch einmal überdenken?
Ich schreibe diesen Artikel, weil ich mit einigen Missverständnissen aufräumen möchte. Missverständnisse bezüglich eines Begriffs, der uns in der digitalen Branche in den letzten Jahren immer häufiger begegnet: „Mobile First“.
Folgende Situation hatte ich schon häufiger in Projekten: Nehmen wir an es geht um den Relaunch einer Website – Es steht die Frage im Raum, welche digitale Strategie dabei verfolgt werden soll. Von Kundenseite heißt es dann oft sofort: „Mobile First!“
Diese Aussage wird dann untermauert mit aktuellen Statistiken zum mobilen Traffic auf Webseiten: „Viele Websites verzeichnen inzwischen mehr Aufrufe von Smartphones als von Desktop-Computern.“ oder „Der Verkauf von Smartphones hat den Verkauf von Laptops weltweit eingeholt.“
Ja, wir alle kennen diese Statistiken. Aber was sagen sie uns?
Was bedeutet Mobile First und wie wird der Begriff verwendet?
Bevor ich zurück zu diesen Statistiken komme, möchte ich ganz kurz erklären, was Mobile First eigentlich bedeutet.
Beim Mobile First Ansatz wird eine neue Website zuerst für mobile Geräte konzipiert und designt, bevor sie für die Desktop-Anwendung erweitert wird. Grundsätzlich klingt das erstmal gar nicht schlecht – wenn es richtig eingesetzt wird.
Die Frage „Mobile First oder nicht?“ zielt meiner Meinung nach aber an der eigentlich entscheidenden Frage vorbei, nämlich „Wem dient mein Produkt in welcher Situation und welches Problem löst es?“
Mobile First? – Context First!
Die Statistiken zeigen uns, dass Mobile ein unglaublich wichtiger Markt ist, der keinesfalls missachtet werden sollte. Was sie allerdings nicht verraten: Ist Mobile tatsächlich das, was die Nutzer meines Produktes brauchen?
Zu Beginn der Entwicklung eines neuen Produktes oder vor einem Relaunch sollte man sich daher die Frage stellen: „Was will mein Kunde mit meinem Produkt erreichen?“
Um diese Frage zu beantworten muss ich drei Dinge über mein Produkt ganz genau verstehen:
- Wer nutzt das Produkt?
- In welcher Situation wird das Produkt genutzt?
- Welche Ziele verfolgt mein Kunde, wenn er dieses Produkt nutzt?
Dabei helfen uns Use Cases, Personas und Szenarien. Denn erst wenn wir verstehen, warum Menschen aus meiner Zielgruppe mein Produkt in einer ganz bestimmten Situation nutzen, können wir uns die Frage stellen, wie wir das Produkt umsetzen.
Ein Beispiel: Stellen wir uns vor, die fiktive Firma UX-Print hat ein Tool entwickelt, das dazu dient, großformatige Collagen zu erstellen und Fotos für den Posterdruck zu bearbeiten. Dem Nutzer werden eine Reihe sinnvoller Werkzeuge an die Hand gegeben, mit denen sich selbst kleinste Details der Bilder überarbeiten lassen.
Auf den kleinen Smartphone Bildschirmen dürfte das ein schwieriges Unterfangen sein. Es gibt schlichtweg Produkte, die für kleine Bildschirme nicht geeignet sind. Hier wäre „Mobile First“ daher fehl am Platz.
Die Strategie „Mobile First“ ist fehl am Platz, wenn das Produkt für den Einsatz auf mobilen Geräten nicht geeignet ist, wie bei der Bearbeitung großformatiger Fotos.
Ich empfehle Ihnen stattdessen: Gestalten Sie eine informative Landingpage, die für mobile Geräte optimiert ist. Dort erklären Sie das Produkt, geben nützliche Tipps und bieten ein Registrierungsformular an, mit dem man sich in wenigen Sekunden anmelden kann, um das Produkt dann auf einem größeren Bildschirm zu nutzen. So sind Sie trotzdem auf mobilen Geräten präsent, ohne den Nutzern eine schlechte User Experience zuzumuten.
Wann Mobile First die richtige Strategie ist
Sie sind zu dem Schluss gekommen, dass Ihre Nutzer das Produkt auf mobilen Geräten verwenden möchten und können? Super! In diesem Fall ist die logische Frage tatsächlich: Wie kann ich mein Produkt auf dem kleinstmöglichsten Gerät mit dem größtmöglichen Nutzen darstellen und somit die beste User Experience bieten.
Aber auch hier gilt: Fragen Sie Ihre Nutzer. Finden Sie heraus, wie Ihr Produkt auf welchem Gerät genutzt wird und in welcher Situation. Denn auf dem Smartphone können ganz andere Funktionen sinnvoll sein als auf einem Desktop-Computer. Und unterwegs nutzen wir mobile Geräte anders als zu Hause.
Denn: Mobile First ist Mittel zum Zweck, nie aber der Zweck selbst.
Ein Beispiel: Die wenigstens Menschen werden die Download-Funktion in einem App-Store nutzen, wenn sie unterwegs nach neuen Apps stöbern. Schon gar nicht, wenn die jeweilige App mehrere MB groß ist und die Gefahr besteht, mobile Daten aufzufressen. In dieser Situation wäre eine „Speichern“-Funktion für die Nutzer viel interessanter. Oder eine Erinnerungsfunktion. Oder eine Funktion, die den Download automatisch startet, sobald man sich im heimischen WLAN befindet. Oder … Ihnen fallen sicherlich noch andere sinnvolle Funktionen ein.
„Mobile First“ ist die richtige Strategie, wenn das Produkt häufig auf mobilen Geräten eingesetzt wird, zum Beispiel weil die Nutzer es unterwegs verwenden.
Fazit – Auswirkungen auf die Produktentwicklung
Was heißt das nun für die Produktentwicklung? Wir müssen weg von Trendbegriffen und hin zu den Menschen, für die wir Produkte entwickeln. Die Fragen, die wir stellen müssen: Für wen baue ich das Produkt? In welchen Situationen wird mein Produkt genutzt? Und vor allem: Welches Problem löst mein Produkt?
Um diesen Fragen auf den Grund zu gehen, lohnen sich User-Research-Methoden, aus denen gezielt Use Cases, Personas und Szenarien abgeleitet werden und den langfristigen Erfolg eines Produktes sicherstellen. Was Personas sind, erklären wir in diesem Blogartikel.
Stimmen Sie mir zu oder sind Sie vielleicht völlig anderer Meinung? Schreiben Sie gerne einen Kommentar, was Sie von dem Mobile-First-Ansatz halten!
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